Bis wann ist die Party?

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Bestimmt mache ich mir mit diesem Beitrag nicht nur Freunde. Aber ich mache mir eben Sorgen – wie in den vergangenen Wochen so oft. Im Augenblick gibt es mir viel zu viele Feiern. Alle freuen sich so sehr und möchten dabei sein, bei der großen Flüchtlingssause. – Ups!

Hier ist schon der Punkt erreicht, wo mir dieser Beitrag zu entgleiten droht. Ich möchte keinesfalls falsch verstanden werden. Ich finde es toll, dass Deutsche auf Bahnhöfen stehen und Flüchtlinge willkommen heißen. Schön, dass es Applaus gibt, wenn es jemand bis hierher geschafft hat. Ich freue mich mit jedem mit, weil ich mir vorstelle, aus welcher Hölle diese Menschen kommen. Ich wünsche ihnen jedes Kuscheltier der Welt. Aber.

Das „Aber“ heißt hier: Ich frage mich, liebe Willkommensfeierer, wie lange ihr das aushaltet? Seid ihr auch noch da, wenn der Winter kommt? Wenn der Hashtag #Weihnachtsmarkt und nicht mehr #trainofhope oder #refugeeswelcome heißt? Wie lange macht ihr mit bei diesem Event?
Ups – gemerkt?

Genau, es ist nämlich gar kein Event. Es ist unglaublich sozial, was im Augenblick passiert, und es wäre auch ohne die sozialen Medien nicht möglich. Das ist alles großartig. Nur: Wie lange noch? Ist es lediglich eine weitere Kerbe im Social-Media-Gürtel, wenn man jetzt dabei war? Oder haltet ihr länger durch?

Ich fürchte, dass das nächste große Ding im Zusammenhang mit Flüchtlingen heißt #refugeeXmas. Dann hat jeder „seinen“ Flüchtling unterm Tannenbaum. So, als seien Flüchtlinge ein Musthave, eine Mode. Nur wenige Moden schaffen es aber als Klassiker in die Gallery of Modern Art. Die meisten sind kurzlebig. Die Menschen, die zu uns kommen, sind genau das nicht. Die brauchen Freiwillige, die richtig lange helfen. Nicht nur heute, wenn der Medienrummel groß ist. Nicht nur Weihnachten. Sondern täglich, immer wieder, viele Jahre lang. Und es kommen immer neue.

Gerade erlebe ich ganz viele großartige Helferinnen und Helfer, die Kinderbetreuung organisieren, Deutschunterricht geben, Kleider sortieren. In meinem kleinen Stadtteil sind es bestimmt 300 Aktive. Ach, vermutlich noch mehr. Und so viele Ungezählte, die Kleidung, Stühle, Babynahrung bringen, Fahrräder und Kuscheltiere verteilen und Feste organisieren. Hier eine Feier, da ein Ausflug. Noch mehr Kuscheltiere. Noch mehr Hygienepacks. Ist eigentlich auch die Presse da? Winkewinke!

Viele helfen still. Das sind mir die liebsten. Die ackern nämlich einfach, weil sie es wichtig finden. Die sind da und verschwinden wieder. Zwischendurch haben sie 20 Säcke Kleider ausgeleert und sortiert. Dann gibt es die anderen, die laut sind, Fotos und Hashtags verteilen müssen. Das hat auch seine Berechtigung, denn gute PR brauchen wir, damit sich auch andere ermutigt fühlen. Dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es oft um das Wohl der Helfer geht und nicht um das der Flüchtlinge.

Darum ist dies auch kein Gemecker, sondern ein Appell: Haushaltet mit euren Kräften. Geht die Sache langsam und überlegt an. Schafft dauerhafte Strukturen. Denkt nicht, dass es mit zwei Flaschen Wasser, einem Kuscheltier am Bahnhof und einem Hashtag getan ist. Seid auch in zwei Jahren noch dabei, wenn es wieder heißt: „Hier eröffnet eine ZEA, eine Zentrale Erstaufnahme.“

07. September 2015 von Britta Freith
Kategorien: Ankommen, Stilkritik | 30 Kommentare

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